Gusle

Unterschiedliche Guslen-Typen

Die Gusle (serbisch-kyrillisch Гусле; auch Gusla, Mehrzahl Guslen; albanisch Lahuta) ist ein aus dem Balkanraum stammendes, traditionelles Streichinstrument. Zur Gruppe der Chordophonen-Instrumente gehörend, ist sie als Schalenhalslaute, die mit einer Rosshaarsaite mit einem einfachen Bogen gestrichen wird, ein ursprünglicheres Saiteninstrument der Folklore und Volksmusik. Der birnenförmige, idealerweise aus Ahornholz gefertigte Resonanzkörper ist mit Tierhaut bespannt. Den Kopf der Gusle schmücken zumeist stilisierte Tiermotive wie Steinbock- oder Pferdekopf, in neuerer Zeit aber auch Falken, Adler oder Porträts historischer Persönlichkeiten. Ornamentik und Material der Gusle entstammen der Hirtenkultur. Sie ist eines der ältesten Solo-Musikinstrumente der Balkanhalbinsel und hat sich in ihrer ursprünglichen Form und Spielweise bis heute unverändert erhalten (Hörbeispiel Gusle).

Traditionelle Guslen mit typischer Ornamentik: Steinbockkopf und Schlange

Die Gusle ist das Instrument des epischen Sängers der Balkanhalbinsel in Albanien, Bosnien und der Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien, der Guslar (Guslari) respektive albanisch Lahutar genannt wird. Der Guslar singt und begleitet sich selbst auf seiner Gusle. Während die ehemals nur mündlich tradierten, klassischen Epen heute aus dem breiten verschriftlichen Kontext der Volkspoesie entstammen, so bleibt die musische Komponente im Guslenspiel der überlieferten Praxis treu, in der selbst während der heute wichtigen Wettbewerbsdarbietungen die musikalische Improvisation, vergleichbar der Praxis im Jazz, in seiner tradierten Überlieferung dominantes Prinzip geblieben ist.[1]

Erst mit der Niederschrift der epischen Lieder durch Vuk Stefanović Karadžić (ab 1814) begann die eigentliche Verschriftlichung der mündlichen Dichtung, deren heutiges Repertoire überwiegend diesem Korpus entstammt und die klassische Anthologie (in einem konfuzianischen Sinne) Mündlicher Literatur serbischer Sprache beinhaltet.[2] Diese Epen sind von der slawischen und albanischen Bevölkerung nicht als Medium der Kunst verfasst worden, sondern sind vielmehr ein komplexes Ausdrucksmedium, das in großer Tiefe die lange kulturelle Geschichte zusammenfasst.[3] In ihren ältesten Formen entstammen sie dem Mittelalter und tragen in sich selbst noch heidnisch-animistische Vorstellungen, die so auffällig in der Volkskultur der Südslawen hervorsticht.[4] Die Epen summieren dabei mehrere Jahrhunderte der historischen Realität und spiritueller Bedürfnisse. Die aus Ahornholz gefertigte Gusle selbst symbolisiert dabei gleichfalls die Vermittlung mit dem Ahnenkult und ist auch an sich das Emblem des Epischen Gesangs sowie in ihren Heimatländern ein Symbol der nationalen Identität.[3]

Aus Anschauungen zur stilistischen Methodik der damals noch stark präsenten mündlich tradierten Volksepik bei illiteraten christlichen und muslimischen Guslenspielern Montenegros und Südwestserbiens entwickelten Milman Parry und Albert Bates Lord die Grundlage der Oral Poetry-Theorie im Kontext der Homerischen Frage.[5] Dadurch wurden die patriarchalischen Regionen Jugoslawiens, in denen sich das Guslenspiel bis über die zweite Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts in seiner ursprünglichen Art erhalten hatte, als „episches Laboratorium“,[6][7] Ausgangspunkt in der Untersuchung poetischer Sprache und Nutzung von substituierbaren „Formeln“ oraler Dichtung, die zu einer neuen, global rezipierten literaturwissenschaftlichen Richtung – Orale Literatur – wesentliche Impulse[8] sowie eine komparative Methodik in der Untersuchung oraler Dichtung in der epischen Literatur der Antike, im byzantinischen Griechisch, Altenglisch und Altfranzösisch lieferten.[9]

Gesang in Begleitung der Gusle ist Teil des immateriellen Kulturerbes der Menschheit.

  1. Danica Lajić-Mihajlović: Competitions as a form of public gusle playing performance. In: Musicology. 11, 2011, Belgrad, S. 196.
  2. Milne Holton, Vasa D. Mihailovic: Serbian Poetry from the Beginnings to the Present. Yale Russian and East European Publications, New Haven, Yale, 1989, ISBN 0-936568-11-7, S. 81.
  3. a b Svetozar Koljević: The Epic in the making. Clarendon Press, Oxford 1980, S. 1.
  4. Svetozar Koljević: The Epic in the making. 1980, S. 106.
  5. Miles Foley 1986: Oral Tradition in Literature. University of Missouri Press, Columbia, ISBN 0-8262-0490-2, S. 4.
  6. Albert Bates Lord 1960: The Singer of Tales. S. 209.
  7. Miles Foley 1986: Oral Tradition in Literature. S. 4.
  8. Klaus von See 1978: Was ist Heldendichtung? In Klaus von See (Hrsg.): Europäische Heldendichtung. (Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt), Wege der Forschung, Band 500, ISBN 3-534-07142-5, S. 19–21.
  9. Miles Foley 1986: Oral Tradition in Literature. S. 5.

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