Anamnesis (auch Anamnese, altgriechisch ἀνάμνησις anámnēsis, deutsch ‚Erinnerung‘) ist ein zentrales Konzept in Platons Erkenntnistheorie und Seelenlehre, dem zufolge alles Wissen in der unsterblichen Seele immer schon vorhanden ist, aber bei der Geburt vergessen wird. Den metaphysischen Hintergrund bildet die Präexistenzlehre, die besagt, dass die Seele schon vor der Entstehung des Körpers existiere und über geistige Fähigkeiten verfüge. Nach dieser Theorie erschafft der menschliche Intellekt kein neues Wissen, sondern erinnert sich nur an Vergessenes. Somit beruht jede Erkenntnis auf Erinnerung. Das Wissen steht der Seele zwar immer potentiell zur Verfügung, sie hat aber für gewöhnlich keinen Zugriff darauf. Ein Zugang entsteht, wenn das vergessene Wissen durch äußere Anstöße wieder in das Bewusstsein zurückgerufen wird. Durch die Anstöße, die ein Lehrer gezielt gibt, erinnert sich die Seele des Lernenden an etwas, das ihr eigentlich bereits vertraut ist. Platon erörtert das Anamnesis-Konzept in den Dialogen Menon, Phaidon und Phaidros.
Den Ursprung des latenten Wissens verortete Platon gemäß seiner Ideenlehre im transzendenten Bereich der Ideen. Mit seinem Anamnesis-Konzept gab er den Anstoß zur philosophischen Auseinandersetzung mit dem Problem einer apriorischen – von der sinnlichen Erfahrung unabhängigen – Erkenntnis. In der Frühen Neuzeit drehte sich die Debatte um die umstrittene Annahme angeborener Ideen. Dabei wurde die antike Erinnerungslehre zwar verworfen, aber die Existenz von Vorstellungen, die zu einer ursprünglichen Ausstattung des menschlichen Geistes gehören, von manchen Denkern verteidigt. Das Gegenkonzept bietet der Sensualismus, der alle Erkenntnis auf die passive Aufnahme von Sinnesdaten zurückführt.