Anomerer Effekt

In der organischen Chemie bezeichnet der anomere Effekt die Tendenz von Atomen in bestimmten Molekülstrukturen eine gewisse räumliche Position bevorzugt einzunehmen, da diese energetisch günstiger ist.

Fachlich genau formuliert nimmt ein Heteroatom, welches an ein Kohlenstoffatom neben einem Heteroatom im Cyclohexanring substituiert ist, bevorzugt die axiale Position gegenüber der (sterisch weniger gehinderten!) äquatorialen Position ein, was sterischen Betrachtungen widerspricht. Anders ausgedrückt ist bei Vorliegen zweier elektronegativer Substituenten an einem Kohlenstoffatom die synclinale Anordnung zweier Bindungen gegenüber der antiperiplanaren bevorzugt. Das Kohlenstoffatom, an das die betreffenden Substituenten gebunden sind, wird als anomerer Kohlenstoff bezeichnet. Im Formelschema ist die Bildung von Molekül 2 mit synclinaler Anordnung der rot markierten Bindungen gegenüber 1 bevorzugt.

Antiperiplanare (1) und synclinale (2) Bindungssituation in cyclischen Halbacetalen. Die entscheidenden Bindungen sind rot markiert.

Dieser stereoelektronische Effekt tritt auch für jedes der gezeigten Moleküle einzeln auf, da sie in ihrer Sesselkonformation invertieren können. Eine axial stehende Hydroxyfunktion wird damit in eine äquatoriale überführt und umgekehrt; auch hierbei ist diejenige Konformation, in der die OH-Gruppe axial steht, in beiden Fällen bevorzugt.

Der Begriff anomerer Effekt wurde 1958 von Raymond Lemieux und N. J. Chu eingeführt.[1]

  1. Kenneth B. Wiberg, William F. Bailey, Kyle M. Lambert, Zachary D. Stempel: The Anomeric Effect: It’s Complicated. In: The Journal of Organic Chemistry. Band 83, 5. April 2018, S. 5242–5255, doi:10.1021/acs.joc.8b00707.

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