Avifauna Mitteleuropas

Graureiher

Als Avifauna Mitteleuropas werden die Vogelarten bezeichnet, die als Brutvogel, Durchzügler oder Wintergast in Mitteleuropa auftreten. Damit zählen zur Avifauna auch Neozoen wie beispielsweise die Kanadagans, die in Mitteleuropa durch den Menschen eingebürgert wurde, und die sogenannten Irrgäste, deren eigentliche Brutareale, Zugwege und Überwinterungsgebiete weit entfernt liegen und die Mitteleuropa nur selten oder ausnahmsweise erreichen. Insgesamt sind derzeit Brutvögel aus 21 Ordnungen in Mitteleuropa vertreten, davon geht der rezente Brutbestand von zwei Ordnungen, nämlich den Papageien und Flamingos, allein auf Gefangenschaftsflüchtlinge zurück. Keine der Arten ist ausschließlich auf Mitteleuropa beschränkt. Nur wenige Arten wie beispielsweise der Rotmilan haben ihren Verbreitungsschwerpunkt in Mitteleuropa.

Die Zahl der Brutvögel variiert in Abhängigkeit von der Lebensraumvielfalt, die eine Region bietet. In der Schweiz brüten beispielsweise im tendenziell formenvielfältigeren Flachland auf einer Fläche von 100 Quadratkilometern durchschnittlich 97 Arten, dagegen werden in den vergleichsweise formenärmeren Regionen oberhalb von 1800 Höhenmetern 47 Arten von Brutvögeln gezählt.[1] Der Brutvogelbestand einer Region ist grundsätzlich nicht statisch. Auch ohne anthropogenen (menschlichen) Einfluss verschwinden gebietsweise einzelne Arten oder erschließen sich eine Region neu. Wacholderdrossel und Türkentaube sind Beispiele für Arten, die sich natürlich in den letzten zwei Jahrhunderten weite Teile Mitteleuropas als Lebensraum erschlossen haben. Die Brutbestände des Steinsperlings dagegen sind unter anderem aufgrund einer Nistplatzkonkurrenz mit Staren und Haussperlingen sowie einer Folge kühler und feuchter Sommer in Mitteleuropa erloschen. Anthropogene Einflüsse haben jedoch sowohl auf die Artenvielfalt als auch auf den jeweiligen Bestand deutlich stärkeren Einfluss. Großräumige Waldrodungen während der mitteleuropäischen Siedlungsgeschichte haben vielen nicht an den Wald gebundenen Vogelarten erst die Möglichkeit gegeben, sich in Mitteleuropa weiträumig zu verbreiten. Die mitteleuropäischen Heiden, ein Landschaftstyp, der für viele Ödlandbrüter eine wichtige Bedeutung als Brutareal hat, sind fast ausschließlich durch langjährige Übernutzung durch den Menschen entstanden. In den letzten Jahrzehnten hat der Mensch den mitteleuropäischen Lebensraum jedoch sehr schnell verändert. Grundwasserabsenkung, Entwässerung von Feuchtgebieten, Flussbegradigungen, Zerstörung von Überschwemmungsflächen und Verlandungszonen, Torfabbau, Aufforstung von Mooren, Flurbereinigung, Eindeichung und die Eutrophierung von Böden und Gewässern sowie ein großräumiger Pestizideinsatz haben bei vielen Arten zu deutlichen Bestandsrückgängen geführt. Parallel dazu haben die Anstrengungen zugenommen, die mitteleuropäische Artenvielfalt zu erhalten. Sehr früh wurden einzelne Arten unter Schutz gestellt, was beispielsweise bei Mäusebussard, Graureiher und Kormoran zu deutlichen Bestandserholungen geführt hat. Erhebliche naturschutzpolitische Anstrengungen haben auch zu einer positiven Bestandsentwicklung bei See-, Stein- und Fischadler, Uhu und Wanderfalke geführt. Ein großer Teil der derzeitigen Anstrengungen, die Vielfalt der Avifauna Mitteleuropas zu bewahren, konzentriert sich mittlerweile auf den Lebensraumerhalt.

  1. Jacques Gilliéron, Claude Morerod: Tiere der Alpen: Die Wirbeltiere. SAC Verlag, 2005, ISBN 3-85902-238-5, S. 17.

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