Brutreaktor

Ein Brutreaktor beziehungsweise „schneller Brüter“ (englisch Fast Breeder Reactor, FBR[1]) ist ein Kernreaktor, der sowohl der Energiegewinnung als auch der Erzeugung weiteren spaltbaren Materials dient. Ein nicht spaltbares Nuklid wird durch Kernreaktionen in ein spaltbares umgewandelt, das dann (nach Aufarbeitung und Einbringung in neue Brennelemente – oder im weiteren Verlauf des Abbrandes) anschließend als Kernbrennstoff verwendet werden kann. Diese Umwandlung (als Konversion, manchmal auch als Brüten bezeichnet, siehe Konversionsrate) findet zwar in jedem Kernreaktor statt, aber von einem „Brutreaktor“ oder „Brüter“ spricht man erst dann, wenn er mehr Brennstoff herstellt, als er in der gleichen Zeit selbst verbraucht. Unter Einsatz von Thorium ist es möglich, auch mit thermischen Neutronen mehr Brennstoff zu „erbrüten“ als gleichzeitig verbraucht wird (großtechnisch demonstriert unter anderem am Leichtwasserreaktor Shippingport). Allerdings ist meistens, wenn von Brutreaktoren die Rede ist, ein Reaktor im schnellen Neutronenspektrum und mit Uran-Plutonium-Brennstoff gemeint. Umgekehrt gibt es durchaus Reaktoren im schnellen Neutronenspektrum, die keine Brutreaktoren sind.

Schneller Brutreaktor in Becken-Bauweise (links) und in Schleifen-Bauweise (rechts)

Der erste Brutreaktor war der Experimental Breeder Reactor I. Er war 1951 der erste Kernreaktor der Welt, mit dessen Wärmeleistung elektrischer Strom erzeugt wurde. Heute sind die einzigen Brutreaktoren im kommerziellen Betrieb der BN-600 und der BN-800 in Russland (Stand 2015). Einige Versuchs-Brutreaktoren sind in Betrieb, Bau oder Planung, vor allem innerhalb des Forschungsverbunds Generation IV International Forum.

Zweck der Brutreaktor-Entwicklung ist die weitaus bessere Ausnutzung der Kernbrennstoffe. Aus natürlichem Uran könnte mit Brutreaktoren rund 60-mal mehr Energie gewonnen werden als mit Leichtwasserreaktoren.[2] Die Brutreaktorentwicklung wurde in den 1960er bis 1980er Jahren in vielen Industrieländern staatlich gefördert, beispielsweise im bundesdeutschen Projekt Schneller Brüter[3] von 1962 bis 1989. Ein in der Frühzeit der Kernenergie weniger beachteter aber heute immer wieder vorgebrachter Aspekt ist die weitaus geringere Menge abgebrannten Brennstoffs im Vergleich zu Leichtwasserreaktoren pro erzeugter Menge Strom bzw. Wärme. Dazu kommt, dass – im Idealfall – keinerlei Transuranabfall und ausschließlich Spaltprodukte anfallen. Während Transurane Halbwertszeiten auf allen Zeitskalen haben, sind die allermeisten Spaltprodukte äußerst kurzlebig; einige wenige mittellebig mit Halbwertszeiten im Bereich von Jahrzehnten (z. B. 137Cs und 90Sr); und ein gutes halbes Dutzend extrem langlebig (z. B. Technetium-99 oder Zirconium-93) mit Halbwertszeiten im Bereich von Jahrzehntausenden bis Jahrmillionen. Befürworter der Brütertechnik argumentieren, reiner Spaltprodukt-Abfall könne bereits nach einigen Jahrhunderten (Zeitskala vergleichbar mit dem Bau des Kölner Doms) bedenkenlos in die ausgebeuteten Uranminen zurückgegeben werden, da die Radiotoxizität auf ein Level entsprechend der Uranerze, welche zuvor in den Minen anzutreffen waren, abgeklungen sei.

Als die USA und Russland ihre Atomwaffen entwickelten, wurden zu diesem Zweck spezielle Reaktoren (z. B. der ADE-Reaktor) gebaut, die den einzigen Zweck hatten, Plutonium zu erzeugen. Diese nutzten moderierte, also thermische Neutronen und zählen nicht zu den Brutreaktoren. In der Frühzeit der Kernenergie bestand in einigen Ländern Interesse an Dual-Use-Reaktoren, welche sowohl Energie als auch waffenfähiges Plutonium in nennenswerten Ausmaß liefern sollten. Dazu zählten der britische Magnox-Reaktor, der französische UNGG-Reaktor und der sowjetische RBMK. Diese Entwicklungen erwiesen sich als technische Sackgasse und waren aufgrund Konversionsfaktoren ≪ 1 ebenfalls keine Brutreaktoren. Während Magnox und UNGG nach dem Ende ihrer Lebensdauer durch Reaktoren ersetzt wurden, die nicht auf die Produktion von Plutonium optimiert sind, wurden nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl am Design des RBMK derartige Veränderungen vorgenommen, dass er sich heute kaum noch zur Produktion von Plutonium eignet.

  1. Fast reactors. IAEA, 13. April 2016, abgerufen am 1. Juli 2023 (englisch).
  2. Fast Neutron Reactors | FBR. World Nuclear Association, August 2021, abgerufen am 2. Juli 2023 (englisch).
  3. W. Marth: Zur Geschichte des Projekts Schneller Brueter. Karlsruhe, 1981, doi:10.5445/ir/270016140 (kit.edu [abgerufen am 2. Juli 2023]).

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