Die Chevy-Chase-Strophe ist eine im 18. Jahrhundert von Friedrich Gottlieb Klopstock und Johann Wilhelm Ludwig Gleim in die deutsche Dichtung eingeführte Strophenform. Sie besteht aus vier kreuzgereimten Versen (Reimschema [abab]), wobei der erste und dritte Vers vier Hebungen, der zweite und vierte Vers drei Hebungen hat. Die Zahl der unbetonten Silben zwischen den Hebungen kann variieren (freie Senkungsfüllung), das Versmaß tendiert jedoch zum jambischen Rhythmus. Alle Verse schließen mit männlicher Kadenz. Das Strophenschema ist demnach in metrischer Formelnotation:
Der Name bezieht sich auf eine um 1550 entstandene englische Volksballade The Ancient Ballad of Chevy-Chase über eine verhängnisvolle Jagd in den Cheviot Hills in Northumberland, die als Eingangsgedicht von Percys berühmter Sammlung Reliques of Ancient English Poetry (1765) erschien.[1] Das Gedicht wurde jedoch schon 1743 von Luise Adelgunde Victorie Gottsched übersetzt. In Johann Gottfried Herders Sammlung Volkslieder erschien die Übersetzung unter dem Titel Die Chevy-Jagd und mit der Bemerkung „Dieß Stück ist die berühmte älteste Englische Ballade, die auch in der Uebersetzung nicht gar zu glatt erscheinen konnte, sollte sie das, was sie ist, einigermassen bleiben.“ Die erste Strophe lautet:[2]
1749 ließ Friedrich Gottlieb Klopstock ein Kriegslied zur Nachahmung des alten Liedes von der Chevy-Chase-Jagd veröffentlichen, das mit König Friederich offenbar den preußischen König Friedrich II. als Schlachtenlenker und besten Mann im ganzen Vaterland preist.[3] Die ersten drei Strophen des reimlosen Gedichts lauten:
Zwanzig Jahre später war daraus ein nicht weniger blutrünstiges Loblied auf den deutschen König Heinrich I. unter dem Titel Heinrich der Voͤgler geworden.[4] Ähnlich martialisch geht es in Gleims Preußischen Kriegsliedern (1758) zu, wo Gleim die Strophenform mit dem Kreuzreim aufnimmt:[5]
Der markante Rhythmus und die Vorbilder Klopstocks und Gleims bewirkten, dass die Strophenform im 19. und bis in das 20. Jahrhundert vor allem für patriotische und militärische Stoffe gerne verwendet wurde, weshalb man geradezu von der „Grenadierliederstrophe“ sprach. Hier die erste Strophe von Moritz Graf von Strachwitz’ Das Herz von Douglas (1843)[6]:
Die Strophe bleibt aber nicht allein auf martialisch-patriotische Thematiken beschränkt, sondern findet zunehmend breite Verwendung auch in der anakreontischen Lyrik (Christian Felix Weiße), den Liedern der Hainbund-Dichter (Hölty, Miller und Matthias Claudius) und in der humoristischen Ballade (zum Beispiel bei Gottfried Keller und Wilhelm Busch).
Im 20. Jahrhundert wird sie nur noch gelegentlich verwendet, etwa bei Wolf Biermann und Peter Rühmkorf. Ein bekanntes Beispiel gibt es bei Bertolt Brecht, der den „Kriegsliedton“ in der Legende vom toten Soldaten ironisch noch einmal aufnimmt:
Als unironisch „patriotische“ Strophenform erscheint sie nur noch bei Dichtern wie Börries von Münchhausen und Agnes Miegel.
In der englischen Dichtung entspricht der Chevy-Chase-Strophe das Ballad metre, wobei hier meist nur die Dreiheber gereimt sind, das Reimschema also [xaxa] ist. Wenn die Verse zudem regelmäßig jambisch sind, so wird die Strophenform als Common measure bezeichnet, wodurch auch seine lange Tradition und große Verbreitung ausgedrückt wird.
Wie in der englischen Dichtung (common octave) gibt es auch in der deutschen die Variante einer Verdoppelung der Strophe, wodurch ein Achtzeiler mit dem Strophenschema
entsteht. Beispiele finden sich bei Goethe (Der Fischer, 1779) und Fontane (Gorm Grymme, 1864). Die letzte Strophe von Der Fischer lautet:
Und bei Fontane[7]: