Chrestomathie

Eine Chrestomathie (griechisch χρηστομαθία, zu χρηστός chrēstós, deutsch ‚nützlich‘ und μανθάνω mantháno, mit dem Infinitiv Aorist μαθεῖν matheín, deutsch ‚lernen‘) ist eine Zusammenstellung von Texten oder Textauszügen – hauptsächlich aus Prosaschriften – zu didaktischen Zwecken[1] und damit „eine Vorform der heutigen Lesebücher“.[2]

Durch diesen didaktischen Aspekt ist die Chrestomathie vom Oberbegriff der Anthologie zu unterscheiden. Der Begriff entstammt dem klassischen Altertum. Texte wurden bei der Lektüre von Lehrern mit dem Buchstaben χ (Chi) für chrēstós als nützliche Werke für Schüler gekennzeichnet. Der Begriff chrēstomathía tritt in zwei jeweils als Fragment erhaltenen Werken des Eutychios Proklos – nicht zu verwechseln mit dem bekannten gleichnamigen Philosophen – in Erscheinung: Chrestomathia grammatica und chrestomathia poetica. Im deutschsprachigen Raum ist der wissenschaftliche und schulische[3] Gebrauch des Begriffs für die Zeit seit dem 18. Jahrhundert gut belegt.[4]

Oftmals dienen in einer Chrestomathie angelegte Textsammlungen dem Erlernen von Sprachen, wobei die Texte nach ihrem fremdsprachlichen Schwierigkeitsgrad progressiv geordnet sind. Jenseits fremdsprachlicher oder literarischer Zwecke sind allerdings auch Chrestomathien für die Bereiche Ökonomie, Pädagogik, Philosophie – oder auch Spezialitäten wie eine aztekische Chrestomathie[5] – zusammengestellt worden. Gelegentlich wird der Terminus im allgemeineren Sinn von Textauswahl beziehungsweise Anthologie[6] oder Blütenlese gebraucht.

  1. Otto Ferdinand Best: Handbuch literarischer Fachbegriffe. Definitionen und Beispiele. Überarbeitete und erweiterte Ausgabe. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1994, S. 100; Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur (= Kröners Taschenausgabe. Band 231). 8., verbesserte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-23108-5, S. 134; Helmut Hiller, Stephan Füssel: Wörterbuch des Buches – mit online-Aktualisierung –. Siebte, grundlegend überarbeitete Auflage. Klostermann, Frankfurt am Main 2006, S. 78. Brigitte Mattausch: Chrestomathie. In: Goethe-Wörterbuch. Band 2: B–einweisen. Kohlhammer, Stuttgart 1989 (Wörterbuchnetz).
  2. Günter Häntzschel: Sammelwerk. In: Natalie Binczek, Till Dembeck, Jörgen Schäfer (Hrsg.): Handbuch Medien der Literatur. De Gruyter, Berlin/Boston 2013, S. 260–265; S. 260.
  3. Vgl. zum Beispiel als Auswahl sowohl prosaischer als auch poetischer Texte: Deutsche und Lateinische Chrestomathie zum Gebrauche der Schulen und Gymnasien. Philipp Heinrich Perrenon, Frankfurt/Leipzig 1772 (Digitalisat der BSB); oder aus einer einzigen Versdichtung: Die kleine Messiade. Eine heroische Chrestomathie aus Klopstocks Messias gezogen und mit den nöthigsten Anmerkungen, zum Gebrauch in Schulen, versehen. Zur allgemeinen Schul-encyklopädie gehörig. Schul-buchhandlung, Braunschweig 1795 (= Encyklopädie der Deutschen Musterschriften zum Gebrauch in Schulen. Erster Theil) (Digitalisat der SBB).
  4. Günther Schweikle, Irmgard Schweikle (Hrsg.): Metzler Literatur Lexikon. Stichwörter zur Weltliteratur. Metzler, Stuttgart 1984, S. 78.
  5. Berthold Riese: Aztekische Chrestomathie (Sammlung aztekischer Texte mit Übersetzungen und Kommentierungen); zitiert nach: Berthold Riese: Aztekische Schöpfungs- und Stammesgeschichte. Lit, Berlin 2007, S. 192. Siehe auch: Aztekische Chrestomathie. (Memento vom 28. Oktober 2007 im Internet Archive; PDF: 45 kB). Inhaltsübersicht von Herbst 2006
  6. Vgl. zum Beispiel Jürgen Kuczynski: Bürgerliche und halbfeudale Literatur aus den Jahren 1840 bis 1847 zur Lage der Arbeiter. Eine Chrestomathie (= Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus. Band 9). Akademie, Berlin 1960.

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