Mit dem Begriff deutsche Wiedergutmachungspolitik werden die Maßnahmen Deutschlands zusammengefasst, durch die Verfolgte des Nationalsozialismus materiell entschädigt wurden. Sie ist ein Teilaspekt der deutschen Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Obwohl der Begriff „Wiedergutmachung“ nicht bedeutet, dass erlittenes Leid und jahrelange Entrechtung, Freiheitsentzug und Gesundheitsschäden durch die gewährten Leistungen abgegolten und „wieder gut gemacht“ werden können,[1] hat sich der Ausdruck in der Fachwelt durchgesetzt.
Die Wiedergutmachung wurde in der Bundesrepublik auf die folgenden Arten geleistet:[2][3]
- Rückerstattung der den Verfolgten durch Gewalt- und andere Unterdrückungsmaßnahmen entzogenen und noch feststellbaren Vermögensgegenstände direkt an ihre ehemaligen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger (bei erbenlosem Vermögen an jüdische Organisationen),
- Erfüllung der Geldverbindlichkeiten des Reichs, die dadurch entstanden sind, dass dem Verfolgten durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen entzogene Vermögensgegenstände nicht mehr feststellbar sind und deshalb Ersatz in Geld zu leisten ist, sowie
- Entschädigung in Geld für Schäden, die den Verfolgten durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Vermögen sowie im beruflichen und im wirtschaftlichen Fortkommen zugefügt worden sind (Wiedergutmachung im engeren Sinn), außerdem
- Sonderregelungen auf verschiedenen Rechtsgebieten, insbesondere in der Sozialversicherung[4][5][6] oder
- Wiedergutmachung immaterieller Art durch die Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen oder die Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 116 Abs. 2 GG) und akademischer Grade.[7]
In der DDR wurden unter Wiedergutmachung fast ausschließlich die deutschen Reparationsleistungen an die Sowjetunion angesehen. Daher betrachtete die DDR ihre internationalen Pflichten nach dem Ende der Reparationen im Herbst 1953 als abgegolten und verweigerte Verhandlungen über Entschädigungen, sowohl mit den Staaten des Warschauer Pakts als auch insbesondere mit Israel.[8]
Angesichts der immer länger zurückliegenden Zeit von Holocaust und Wiedergutmachung, der demographischen Entwicklung in Deutschland mit Generationen ohne familiären, regionalen oder kulturellen Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus und vor dem Hintergrund von zunehmendem Antisemitismus und Holocaustleugnung will das Bundesfinanzministerium im Rahmen der „Transformation der Wiedergutmachung“ Informationen zu den einschlägigen Aktenbeständen des Bundes, der Länder und perspektivisch weiterer Stellen sichtbar und einheitlich zugänglich machen.[9][10] Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts wandelt sich insofern von einer aktiven Unterstützung für die Opfer der Verfolgung hin zu politischen Aktivitäten, bei denen die Vermittlung dessen, wie die Bundesrepublik national und international zur Wiedergutmachung beigetragen hat, im Mittelpunkt steht.[11]
- ↑ Vgl. zum Beispiel BVerfG 54, 53, Abs.-Nr. 51 f.
- ↑ Vgl. Hans Günter Hockerts: Wiedergutmachung in Deutschland 1945–1990. Ein Überblick. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte, 63. Jahrgang, 25–26/2013, S. 15–22 (16).
- ↑ Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. BT-Drs. 1949, S. 51.
- ↑ vgl. insbesondere Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 (WiGBl. S. 263), neugefasst durch Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970, BGBl. I S. 1846
- ↑ Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (Gesetzentwurf der Bundesregierung), BT-Drs. VI/715.
- ↑ Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (10. Ausschuss) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung — Drucksache VI/715, BR-Drs. VI/1449.
- ↑ vgl. Wolf Stegemann: Depromotionen an deutschen Universitäten 1933 bis 1945 – Aberkennung der Doktorwürde aus juristischen, rassischen oder politischen Gründen. 20. Januar 2014.
- ↑ Hans Günter Hockerts: Wiedergutmachung in Deutschland 1945–1990. Ein Überblick.
- ↑ Das Archivierungsprojekt der Wiedergutmachung und seine Bedeutung im Kampf gegen den Antisemitismus. BMF-Monatsbericht, Januar 2021.
- ↑ Deutsche Digitale Bibliothek: Themenportal Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Abgerufen am 20. Februar 2023.
- ↑ Bundesministerium der Finanzen: Wiedergutmachung. Regelungen zur Entschädigung von NS-Unrecht. Stand Mai 2022.