Eugenik (von altgriechisch εὖ eu „gut“ und γένος génos „Geschlecht, Familie“) oder Eugenetik, deutsch auch Erbgesundheitslehre, in der Zeit des Nationalsozialismus (da auch Erbpflege genannt) bzw. in Deutschland[2] meist gleichbedeutend mit Rassenhygiene (vgl. Nationalsozialistische Rassenhygiene), bezeichnet die Anwendung theoretischer Konzepte bzw. der Erkenntnisse der Humangenetik auf die Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik bzw. den Gen-Pool einer Population mit dem Ziel, den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu vergrößern (positive Eugenik) und den negativ bewerteter Erbanlagen zu verringern (negative Eugenik). Der britische Anthropologe Francis Galton (1822–1911) prägte den Begriff nicht erst 1904, sondern bereits bei seiner Aufstellung der Vererbungsregeln 1869[3] und 1883 für die Verbesserung der menschlichen Rasse bzw. „die Wissenschaft, die sich mit allen Einflüssen befaßt, welche die angeborenen Eigenschaften einer Rasse verbessern“.[4][5] Um 1900 entstand auch der Gegenbegriff Dysgenik, der „Lehre von der Akkumulierung und Verbreitung von mangelhaften Genen und Eigenschaften in einer Population, Rasse oder Art“ bedeutet.
Eugenische Betrachtungen waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitverbreitet und wurden breit diskutiert. In Großbritannien führten insbesondere der Burenkrieg, bei dem schwerwiegende Probleme aufgrund des Mangels an tauglichen Rekruten, außenpolitischen Bedeutungsverlustängsten und innenpolitischen Degenerationsvorstellungen im Umfeld des ersten unter den Bedingungen der Massendemokratie geführten englischen Krieges zusammenkamen, zur Formierung einer aktiven Eugenikbewegung.[6] Zu den bekannten Vertretern gehören unter anderem Ronald Aylmer Fisher, Margaret Sanger, Julian Huxley, D. H. Lawrence, George Bernard Shaw, H. G. Wells. Dabei wurde eine aktive und passive Eugenik unterschieden. In der populären gesellschaftspolitischen Diskussion spielen bis heute biologistische Interpretationen der Vererbungslehre sowohl nach Mendel als auch verhaltensorientierter Prägung in der Tradition des Lamarckismus eine wichtige Rolle. Entsprechende Standpunkte fanden in der Gesetzgebung einer Reihe von Industrieländern zu Immigration, Schulpolitik und zum Umgang mit Minderheiten ihren Niederschlag. Die britische Eugenikbewegung stand dabei nach einer langen Periode des Liberalismus für eine aktive Rolle des Staates in diesen Politikfeldern und sprach auch klassische sozialdemokratische Vertreter, so in der Fabian Society, an.[6] Auch unter den Verfechtern der freien Liebe und im frühen Feminismus waren eugenische Argumente verbreitet.[7]
Dabei wurde in klassischen Einwandererländern wie Kanada und Australien vor allem der Umgang mit Zuwanderern wie der mit ethnischen Minderheiten unter eugenischen Gesichtspunkten betrachtet. Etliche der damals als fortschrittlich geltenden Maßnahmen werden heute als rassistisch motiviert erkannt und bedauert. In Japan und Deutschland, beides ehemalige Agrarstaaten mit damals wenigen Einwanderern, die eine rasante Wachstumsphase durchlebten, wurde der Begriff unter dem Schlagwort Rassenhygiene und Blutreinheit (Junketsu 純血 reines bzw. Konketsu 混血 unreines Blut) subsumiert und breit aufgenommen.[8]
Die nationalsozialistische Rassenhygiene diente zur Rechtfertigung der Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, etwa in der „Aktion T4“ und der „Kinder-Euthanasie“, und zu Menschenversuchen in Konzentrationslagern. Bezüglich der Durchführung „rassenhygienischer Reformen“ hatte sich der nationalsozialistische Rassenhygieniker Fritz Lenz[9] für die Verwendung des Wortes „Rassenhygiene“ (ein 1885 von Alfred Ploetz eingeführter, und 1911 von Max von Gruber als „Hygiene des Keimplasmas“ definierter Begriff[10]) statt „Eugenik“ ausgesprochen.[11] In der Nachkriegszeit wurde der Begriff Eugenik mit diesen und weiteren Verbrechen im Nationalsozialismus wie auch mit Kriegsverbrechen der japanischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg, insbesondere durch Einheiten der Kaiserlich Japanischen Armee, in Verbindung gebracht. Insbesondere in Deutschland wurde „Rassenhygiene“ wie der Eugenikbegriff fortan gemieden.
Ende des 20. Jahrhunderts wurde aufgrund der Fortschritte sowohl in der Genetik als auch der Reproduktionsmedizin die ethische und moralische Bedeutung eugenischer Fragestellungen auch im deutschen Sprachraum erneut breiter diskutiert. Dabei wird der Ausdruck gelegentlich ebenso als Kampfbegriff verwendet. Die nahezu ungebrochene Tradition[12] im englischen Sprachraum hat diese Entwicklung erst später nachvollzogen. Die bedeutende British Eugenics Society wurde 1989 in Galton Institute umbenannt.