Der Begriff Extremismus der Mitte wurde von Seymour Martin Lipset in die Soziologie eingeführt.[1] In seinem Buch Political Man (1959) schrieb er, dass der linke Extremismus seine Basis in den unteren Schichten und in der Arbeiterklasse habe, der rechte Extremismus in den Oberschichten verankert und der Faschismus in der sozioökonomischen Mittelschicht beheimatet sei.[2] Damit erweiterte der Soziologe die Analyse Theodor Geigers,[3] der die Wahlerfolge der NSDAP seit Beginn der 1930er Jahre aus der Reaktion des Mittelstandes auf die Weltwirtschaftskrise erklärte, und bezog sie auf die zeitdiagnostische Analyse extremistischer und antidemokratischer Bewegungen aus der Mitte der Gesellschaft. Die Extremismen von links und rechts wurden damit um einen neuen Typus ergänzt und der Faschismus als eine typische Mittelschichtbewegung erklärt.[4]
Jürgen R. Winkler zählt die Theorie von Lipset – zusammen mit den Arbeiten Richard Hofstadters (The Pseudo-Conservative Revolt)[5] – zu den bedeutenden Theorien der Rechtsextremismusforschung. Vergleichbar mit den Theorien der relativen Deprivation beschäftige sich Lipsets Theorie mit der „Zugehörigkeit von Individuen zu Kollektiven, deren Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation und ihre Befindlichkeiten“. Innerhalb dieser Forschung sei die Theorie Lipsets, wonach „Personen, die ihren Status in Gefahr sehen“, dazu neigen, „rechtsextreme Bewegungen zu unterstützen“, Winkler zufolge „sehr einflussreich“.[6]
Durch die sozioökonomische Analyse Hitlers Wähler (1991) von Jürgen W. Falter wurden die Mittelschichtsthesen zur Erklärung des Aufstiegs des Nationalsozialismus stark relativiert. Falter fand heraus, dass zwar 40 % der NSDAP-Wähler aus der Mittelschicht stammten, dass aber auch die Arbeiterschaft eine bedeutende Wählergruppe darstellte. Als deutlichstes Sozialmerkmal der NSDAP-Wähler stellte sich die Konfession heraus, da Protestanten viel eher als Katholiken NSDAP wählten.[7]
In den 1990er Jahren wurde der Begriff auch zum politischen Schlagwort, mit dem generelle Kritik am Gesellschaftssystem geäußert wurde. Mit ihrer Positionierung in den Diskussionen um Leitkultur, Multikulturalismus, Nation und Einwanderung würden die politischen und ökonomischen Eliten (und nicht die rechtsextremen Parteien selbst) rechtsextremes Gedankengut fördern und damit den Weg in eine autoritäre Gesellschaft vorbereiten.[8]