Lehr- bzw. Weisheitsbücher des Alten Testaments |
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Namen nach dem ÖVBE. Pseudepigraphen |
Jesus Sirach (oder Ben Sira, der Siracide, das Sirachbuch, abgekürzt Sir) gehört zu den sogenannten Spätschriften des Alten Testaments. Das Buch ist nach seinem Autor benannt, der um 190/180 v. Chr. in Jerusalem die hebräische Urfassung niederschrieb.
Der Autor lebte in einer Welt, die vom Hellenismus geprägt war, und leitete ein jüdisches „Haus der Bildung“ (altgriechisch οἶκος παιδείας oikos paideias) nach dem Vorbild einer griechischen Philosophenschule. Seine Schrift ist wahrscheinlich aus diesem Unterricht erwachsen und daher eine Art Lehrbuch. Ben Sira präsentierte einen für die damalige Zeit modernen Gesamtentwurf der religiösen Traditionen Israels, er versuchte eine Verbindung von Tempelkult, Tora und Weisheit. Praktische Ratschläge nehmen breiten Raum ein, wobei kein anderer biblischer Autor so ausführlich auf die Themen Ehe, Familie und Freundschaft eingeht wie Ben Sira. Er vermittelte seinen Schülern auch eine gewisse Weltläufigkeit, die für ihre spätere Tätigkeit wünschenswert war; wohl deshalb erörterte er das angemessene Verhalten bei einem Symposion, Bildung durch Reisen oder den Nutzen der Medizin.
Um 130/120 v. Chr. verfasste der Enkel Ben Siras, der selbst anonym bleibt, in Alexandria eine Übersetzung ins Griechische. Damit beginnt eine Geschichte der Fortschreibungen des Sirachbuchs sowohl in hebräischer wie auch in griechischer Fassung. Das sind quasi erweiterte Neuauflagen, die mit einem Seitenblick auf die je andere Sprachversion entstanden sind. Das griechische Sirachbuch wurde in den breiten Traditionsstrom der Septuaginta aufgenommen. Das hebräische Sirachbuch dagegen gelangte nicht in den Kanon jüdischer heiliger Schriften und wurde in der Spätantike nicht weiter überliefert. Es war dann in mittelalterlichen jüdischen Gemeinden noch einmal im Umlauf, wohl aufgrund antiker Textfunde. Dann verschwand es wiederum und tauchte seit 1896 in Fragmenten in der Kairoer Geniza, später in Qumran und Masada wieder auf, allerdings unvollständig.
Das Sirachbuch ist ein Grenzgänger zwischen Religionen und Konfessionen: Obwohl es im Judentum nie als heilige Schrift galt, wurde im Talmud mit Ben Sira argumentiert, als wäre er ein Rabbi. Ben Sira stattete die Frau Weisheit mit Zügen der ägyptischen Gottheit Isis aus. Identifiziert mit Maria, wird sie in katholischer Frömmigkeit angerufen als „Mutter der schönen Liebe“. Im gleichen Zusammenhang wurden dem Sirachtext einige Pflanzen als Mariensymbole entnommen. Martin Luther entfernte das Sirachbuch aus dem Alten Testament und ordnete es unter die Apokryphen ein; aber im Luthertum wurde es im 16. und 17. Jahrhundert viel gelesen und inspirierte die Kirchenmusik. In der Spätantike und dann wieder in der Frühen Neuzeit war das Sirachbuch im Christentum eine Art Ratgeberliteratur.