Lear (Drama)

Edward Bond (2001)

Lear ist ein dramatisches Werk des britischen Schriftstellers und Dramatikers Edward Bond, das am 29. September 1971 am Royal Court Theatre in London unter der Regie von William Gaskill uraufgeführt wurde. Das Werk wurde im Londoner Methuen-Verlag 1972 in Buchform veröffentlicht und ist seitdem in mehreren Neuauflagen erschienen. Lear wurde auch in den zweiten Band der gesammelten Bühnenwerke Bonds sowie in verschiedene Dramen-Anthologien aufgenommen. Die deutsche Übersetzung von Christian Enzensberger erschien 1972 im Suhrkamp Verlag unter demselben Titel und wurde ebenfalls mehrfach neu aufgelegt. Im Herbst 1972 wurde das Stück erstmals in der Frankfurter Inszenierung von Peter Palitzsch auf deutschen Bühnen gespielt.

Bonds Stück gilt allgemein als moderner „Anti-Lear“ aufgrund der beabsichtigten kritischen Auseinandersetzung des Verfassers mit dem einflussreichen Shakespeare’schen Vorbild. Trotz diverser Impulse aus der Vorlage oder unterschiedlicher Anspielungen auf stoffliche und thematische Motive in Shakespeares Tragödie ist die Verkehrung von dessen König Lear in sein Gegenbild bei Bond jedoch keine bloße epigonenhafte Imitation oder aktualisierte Adaption der Vorlage, sondern stellt eine unabhängige dramatische Neugestaltung dar. Die grundlegenden Unterschiede zu Shakespeare zeigen sich nicht nur im Handlungsablauf und in der Figurenkonzeption, sondern gleichermaßen in der zentralen Thematik, der Form- und Sprechgebung sowie der spezifischen Wirkweise der Bondschen Dramatik.

Seit seiner Erstaufführung gehört Bonds Lear zu den Klassikern des europäischen Dramas der Gegenwart und steht bis heute weltweit, auch im deutschsprachigen Raum, als fester Bestandteil auf dem Spielplan zahlreicher Bühnen.

Geprägt durch quasi-allegorische Abstraktionen und die bis zum Äußersten gesteigerte Sinnlichkeit physischer Gewalt fasst das Werk wichtige Tendenzen, Konzepte und Einflüsse des modernen Nachkriegstheaters in sich zusammen, um exemplarisch in modellhafter Form das zeitlose Entstehungs- und Wirkungsprinzip von Gewalt und Gegengewalt (violence) und die damit verbundene Denaturierung des Menschen aufzuzeigen. Mit der Veranschaulichung der Deformation und Selbstzerstörung der psychischen und sozialen Existenz des Menschen durch die institutionell in der gesellschaftlichen Moral bedingte Aggression und Brutalität zielt Bonds Werk zugleich auf eine sozialkritische Analyse bestehender Gesellschafts- und Machtstrukturen.[1]

  1. Vgl. Gerd Stratmann: Edward Bond, Lear (1971). In: Klaus-Dieter Fehse et al. (Hrsg.): Das zeitgenössische englische Drama. Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M.1975, S. 277f. und 297. Siehe ferner Werner Habicht: Edward Bond, Lear. In: Rainer Lengeler (Hrsg.): Englische Literatur der Gegenwart 1971–1975. Bagel Verlag, Düsseldorf 1977, S. 22 f. und 394. Vgl. auch Dieter A. Berger: "The Corrupt Seer": Zur Shakespeare-Rezeption Edward Bonds. In: AAA: Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik, Vol. 5, No. 1 (1980), Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen, S. 65 ff. (online bei jstor[1]) und Hubert Zapf: Edward Bond, Lear: Abstrakte Gesellschaft als politisches Systemproblem. In: Hubert Zapf: Das Drama in der abstrakten Gesellschaft: Zur Theorie und Struktur des modernen englischen Dramas. Niemeyer, Tübingen 1988 (Habilitationsschrift), ISBN 3-484-66002-3, Neuauflage Walter de Gruyter Verlag, Berlin 2015, S. 179 ff. Siehe ferner Horst Oppel: Edward Bond: Lear. In: Horst Oppel (Hrsg.): Das englische Drama der Gegenwart. Interpretationen. Erich Schmidt Verlag, Berlin 1976, ISBN 3-503-01233-8, S. 222 f. Vgl. auch Bonds eigene Aussagen in The Author’s Preface, LVII ff. In: Edward Bond: Lear. With commentary and notes. Hrsg. von Patricia Hern. Methuen Student Edition, London 1983, ISBN 0-413-51950-3.

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