Das liberale Judentum (auch Progressives Judentum oder, besonders in Nordamerika, Reformjudentum) ist eine bedeutende jüdische Konfession, welche die Bedeutung von ethischen gegenüber jener von zeremoniellen Aspekten sowie den Glauben an eine kontinuierliche Offenbarung, die eng mit der menschlichen Vernunft und dem Intellekt verbunden ist und sich nicht auf die Theophanie am Berg Sinai konzentriert, hervorhebt. Als liberaler Zweig des Judentums zeichnet sie sich durch eine weniger ausgeprägte Betonung von Ritualen und der persönlichen Einhaltung der religiösen Ge- und Verbote des jüdischen Gesetzes aus als es bei konservativeren jüdischen Strömungen der Fall ist, denn jeder einzelne Jude gilt im liberalen Judentum als autonom. Es besteht eine große Offenheit gegenüber äußeren Einflüssen und fortschrittlichen Werten.
Die Ursprünge des Reformjudentums liegen im Deutschland des 19. Jahrhunderts und gehen auf die Rabbiner Abraham Geiger, Samuel Holdheim, David Einhorn und andere zurück. Ein bedeutender Vertreter in Deutschland war Leo Baeck (1873–1956), der jahrelang die unbestrittene Führungsfigur und Repräsentant der deutschen Judenheit war. Seit den 1970er Jahren verfolgt die Bewegung eine Politik der Inklusivität und Akzeptanz, die so viele wie möglich einlädt, an ihren Gemeinschaften teilzunehmen, anstatt strenger theoretischer Klarheit. Es besteht eine starke Identifikation mit progressiven politischen und sozialen Programmen, hauptsächlich unter der traditionellen jüdischen Rubrik Tikun Olam oder „Reparatur der Welt“. Tikun Olam ist ein zentrales Motto des Reformjudentums, und das Handeln dafür ist einer der wichtigsten Wege der Mitglieder, ihre Zugehörigkeit auszudrücken. Das bedeutendste Zentrum der Bewegung liegt heute in Nordamerika.
Die verschiedenen regionalen Gemeinden, die diese Überzeugungen teilen, darunter die Union for Reform-Judaism (URJ), die Movement for Reform Judaism (MRJ), das Liberale Judentum in Großbritannien und das Israel Movement for Reform and Progressive Judaism sind alle organisiert in der World Union for Progressive Judaism. Diese 1926 gegründete Union (WUPJ) vertritt nach Schätzungen mindestens 1,8 Millionen Menschen in 50 Ländern: fast eine Million registrierte erwachsene Gemeindeglieder sowie fast ebenso viele Personen, die sich mit der Konfession identifizieren. Damit ist sie die zweitgrößte jüdische Konfession weltweit. Seit den 1980er Jahren stellt diese Konfession in den Vereinigten Staaten die wichtigste und größte Gemeinschaft dar, während ihr Einfluss in Europa nach 1945 zuerst zurückging, nunmehr allerdings seit den 1990er Jahren ebenfalls wieder vermehrt an Bedeutung gewinnt.[2] Im deutschsprachigen Raum wurde zum ersten Mal wieder in der Schweiz mit der Gründung der Gemeinde Or Chadasch in Zürich im Jahr 1978 eine liberale jüdische Gemeinde aufgebaut.[3]