Matriarchat

Als Matriarchat wird in matriarchatstheoretischen und weiteren Publikationen ein Gesellschaftstyp bezeichnet, in dem alle sozialen und rechtlichen Beziehungen über die Abstammung der mütterlichen Linie organisiert sind, in dem die religiösen Vorstellungen auf eine Ahnfrau oder Große Göttin zurückgeführt werden und in dem Frauen eine zentrale Rolle in Gesellschaft und Religion einnehmen. Es wird dabei oft nicht unterschieden, ob die zentrale Stellung den Müttern oder den Frauen allgemein zugeschrieben wird. Auch eine hypothetische Gesellschaftsordnung,[1] in der Frauen oder Mütter darüber hinaus die alleinige politische Macht innehaben, wird als Matriarchat bezeichnet.[2]

Im populären Sprachgebrauch der Gegenwart wird unter Matriarchat eine Gesellschaftsordnung verstanden, die vorrangig von Frauen geprägt ist. Es gibt jedoch keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs Matriarchat.[3]

Seit dem 19. Jahrhundert luden zahlreiche Wissenschaftsdisziplinen, kulturelle, soziale und religiöse Strömungen den Begriff – oft unter der Bezeichnung „Mutterrecht“ – mit immer wieder anderen Vorstellungen und Inhalten auf und verwendeten ihn in dem jeweiligen historischen und kulturellen Zusammenhang entsprechend ihrer Weltanschauung. Es wurde auch darüber gestritten, ob es sich bei dem Matriarchat um Fakten oder um Wunsch- bzw. Angstbilder handelt.[4] Es ist weitgehender Forschungskonsens, dass „sich das Matriarchat als Mutterherrschaft spiegelbildlich zum Patriarchat historisch nicht nachweisen lässt“.[5]

Synonyme für Matriarchat sind die heute kaum mehr verwendeten Begriffe Mutterrecht und Gynäkokratie[6] Diese semantische Gleichsetzung oder Bedeutungsinterpretation wird aber nicht von allen Theorien zum Matriarchat angenommen, sehen sie doch im Matriarchat keine direkte, konträre Herrschaftsform zum Patriarchat.[7] Für matriarchal sind gebräuchlich matriarchalisch oder matrizentrisch. In Abgrenzung dazu beschreiben die ethnosoziologischen Begriffe matrilinear, matrilokal und uxorilokal Abstammungs- und Wohnsitzregeln. Mit Matrifokalität wird in der Ethnologie eine zentrale Rolle von Müttern in matrilinearen, patrilinearen oder anderen Verwandtschaftssystemen bezeichnet.[8]

  1. Editors of Encyclopædia Britannica: matriarchy (social system). In: Encyclopædia Britannica. 2013, abgerufen am 30. Oktober 2013 (englisch; Stand: Juli 2008, Elizabeth Prine Pauls): „matriarchy, hypothetical social system in which the mother or a female elder has absolute authority over the family group; by extension, one or more women (as in a council) exert a similar level of authority over the community as a whole. […] The consensus among modern anthropologists and sociologists is that while many cultures bestow power preferentially on one sex or the other, matriarchal societies in this original, evolutionary sense have never existed. However, some scholars continue to use the terms matriarchy and patriarchy in the general sense for descriptive, analytical, and pedagogical purposes.“
  2. E. W. Müller: Mutterrecht. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. and 6, 1984, S. 261.
  3. Elke Hartmann: Zur Geschichte der Matriarchatsidee. Antrittsvorlesung (= Öffentliche Vorlesungen der Humboldt-Universität. Heft 133). Universität Berlin 2004, abgerufen am 30. Oktober 2013 (PDF; 304 kB; 37 Seiten).
  4. Meret Fehlmann: Die Rede vom Matriarchat. Zur Gebrauchsgeschichte eines Arguments. Chronos, Zürich 2011, S. 21 ff. (Dissertation Universität Zürich 2010). Vergleiche auch: Peter Davies: Myth, Matriarchy and Modernity. de Gruyter, 2010; Cynthia Eller: Gentlemen and Amazons. The Myth of Matriarchal Prehistory. 1861–1900, University of California Press 2011.
  5. Birgit Heller: Matriarchat. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Band 6, 1997, Sp. 1475. Ähnlich Gerda Lerner: The Creation of Patriarchy. Oxford University Press, New York 1986, ISBN 0-19-503996-3, S. 31.
  6. Die Bezeichnung Gynaikokratie von altgriechisch γυναικοκρατία gynaikokratía (Frauenherrschaft) ist seit dem 4. Jahrhundert vor Christus nachweisbar.
  7. Vergleiche Uwe Wesel: Der Mythos vom Matriarchat. 1980, S. 35.
  8. Vergleiche z. B. Nancy Tanner: Matrifocality in Indonesia and Africa and Among Black Americans. In: Michelle Zimbalist Rosaldo, Louise Lamphere (Hrsg.): Women, Culture and Society. Stanford University Press, Stanford 1974, S. 129–156, hier S. 129: „Matrifocality is found within a variety of kinship types. […] Descent and matrifocality vary independently. […] This can occur in matrilineal and patrilinear systems as well as in bilateral system.“ Siehe auch: Gabriele Rasuly-Paleczek: Einführung in die Formen der sozialen Organisation (Teil 4/5). (Memento vom 5. Oktober 2013 im Internet Archive) Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, 2011, S. 152, abgerufen am 30. Oktober 2013 (PDF; 747 kB; in archive.org). Sowie: Brian Schwimmer: Matrifocality: An emerging empirical and theoretical issue. In: Tutorial: Kinship and Social Organization. Department of Anthropology, University of Manitoba, Kanada 2003, abgerufen am 30. Oktober 2013 (englisch).

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