Megalithkultur

QS Vor- und Frühgeschichte
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Megalithkultur (von altgriechisch μέγας mégas „groß“ und λίθος líthos „Stein“) ist ein archäologischer und ethnographischer Begriff, der in der Forschungsgeschichte umstritten ist. Insbesondere wurde die Hypothese angezweifelt, der zufolge die verschiedenen megalithischen Kulturen einen einzigen gemeinsamen Ursprung hätten.[1]

Die Bezeichnung Megalithkultur hat mehrere Bedeutungen:

  1. Der Begriff Megalithkultur definiert eine Kultur, die rituelle Bauwerke, u. a. Gräber, größerer bis großer Dimension, insbesondere aus großen Steinen, errichtet, die nur relativ grob bearbeitet werden, oder die, in seltenen Fällen, Monumente aus Gesteinsmassen aushöhlt. Als Ursprungs- oder Parallel-Phänomen sieht Childe „megaxylische“ Bauwerke (megaxylic: wörtlich: 'groß-hölzern'), die dann auch in Stein übersetzt werden können (vgl. Woodhenge, Pömmelte). Megalithische Bauwerke finden sich an vielen Stellen auf dem Globus. So spricht Childe (1946) von verschiedenen Megalithkulturen (megalithic cultures) von Europa über Asien bis in den Pazifik (Moai). Eine zugrundeliegende, einheitliche Kultur (single ‘culture’) sieht er dabei ausdrücklich nicht.[2] Andere finden Megalithkulturen auch in Afrika, Meso- und Südamerika[3] oder sogar noch im zeitgenössischen Indonesien (Nias).[4] Megalithkulturen in diesem Sinne finden sich (i. d. R.) ab dem Epipaläolithikum (z. B. Göbekli Tepe), dann v. a. im Neolithikum (z. B. Steingehege der Bretagne, Trichterbecherkultur, Stonehenge), im Chalkolithikum (z. B. Schnurkeramische Kultur), in der Bronzezeit (z. B. Rösen mit megalithischer Steinkiste, Tholoi) und bis in die Eisenzeit und das Mittelalter (z. B. Mazzeben, Bautasteine, Runensteine, Schiffssetzungen)[5]. Bearbeitung, Transport und Errichtung dieser Steine und ggf. der daraus zusammengesetzten Monumente setzt eine bedeutende kollektive, organisierte Anstrengung, also eine bereits relativ hoch entwickelte soziale Organisation voraus, die u. a. in den kollektiv-rituellen Bauwerken der Megalithkulturen auch zum Ausdruck kommt.
  2. Die Vorstellung einer über große Distanzen, manchmal weltweit verbreiteten Kultur, die durch die Großsteinbauten und weitere Merkmale miteinander verbunden ist, wird der Diffusions-Theorie zugeordnet. Zeitliche Unterschiede zwischen den verschiedenen megalithischen Phänomenen werden durch die Dauer der Migration und die dabei zurückgelegten Distanzen erklärt. Diese Theorie ist vor allem mit dem Namen des englischen Kulturanthropologen William James Perry (1887–1949) verbunden. In einem engeren geographischen Rahmen verwendeten auch Oscar Montelius (1843–1921) und Sophus Müller (1846–1934) ein Migrationsmodell für die Ausbreitung der Megalithkultur, die vom Orient über Nordafrika nach Westeuropa und von dort weiter nach Norden und Osten vorgedrungen sein sollte.[6] Carl Schuchhardt (1859–1943) kehrte die Ausbreitungsrichtung um und leitete die griechischen Tholoi von westeuropäischen Vorbildern ab.[7]
  3. Die Idee, dass der Bau mit großen Steinen mit einer besonderen Ideologie verbunden ist, auch wenn die Bautraditionen nicht unbedingt in einer genetischen Beziehung stehen, wird als Grundlage für eine eigene Kultur angesehen. So bringt der Ethnograph Adolf Ellegard Jensen (1899–1965) Großsteinbauten mit einem „ausgeprägten Totenkult und Ahnendienst“ in Verbindung.[8] Diese Idee steht mit der Frobenius’schen Kulturmorphologie in Verbindung.
  4. „Megalithkultur“ wurde als Synonym für Trichterbecherkultur oder vielmehr deren Nord-, West- und Ostgruppe verwendet. Diese Bezeichnung war aber mit der Idee eines „Megalithvolkes“ verbunden. Nach Ernst Wahle[9] und Hermann Güntert entstand dieses aus einer Vermischung von einwandernden Germanen und dem „Megalithvolk“. Güntert setzt die „Streitaxtleute“ mit den Indogermanen gleich; sie hätten den „megalithischen Bauernadel“ unterworfen, der in dieser Gegend den Ackerbau eingeführt hatte.[10] Güntert nahm an, dass dieses Megalithvolk eine Sprache sprach, die mit dem Baskischen, Etruskischen und „Ägäischen“ verwandt war; einige ihrer Wörter hätten jedoch überlebt, unter anderem in den neuhochdeutschen Wörtern Flint, Felsen, Halle und Burg.[11]

Karl Josef Narr verweist darauf, dass Ethnographie und Archäologie mit verschiedenen Definitionen von „Megalithkultur“ arbeiten. Er macht darauf aufmerksam, dass „sich die prähistorische Megalithik nicht mit irgendeiner, durch archäologische Mittel herauszuarbeitenden Formengruppe deckt oder mit einiger Wahrscheinlichkeit als in einem derart aufgestellten Komplex wurzelnd erweisen läßt.“[12]

  1. Tobias Kühn: Woher die Idee für Stonehenge kam, 13. Februar 2019. sueddeutsche.de Süddeutsche Zeitung. (Abruf: 7. Oktober 2019).
  2. V. Gordon Childe: The Distribution of Megalithic Cultures, and their Influence on ancient and modern Civilizations. In: Man. Band 46/4 (1946), S. 97, JSTOR:2793159.
  3. Christmann, Helmut (Prof. Dr.): Das Rätsel der Großen Steine - Die geheimnisvollen Megalithkulturen im und um das Südmeer, in: Die Karawane - Vierteljahreshefte der Gesellschaft für Länder- und Völkerkunde, Ludwigsburg, 25. Jg., Heft 4 1984
  4. Dominik Bonatz: Wandel einer Megalithkultur im 20. Jahrhundert (Nias/Indonesien). In: Anthropos.96/1, 2001, S. 105–118, JSTOR:40465456.
  5. https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/mazzebe/ch/3f5aaf8cd29aa8f49b5350d9613e4c2c/#h4 , visum: 2. August 2021
  6. Oscar Montelius: Der Orient und Europa. Erster Band, Stockholm 1899;
    Sophus Müller: Sønderjyllands Stenalder. In: Aarbøger for nordisk oldkyndighed og historie. III. Serie, dritter Band (1913), S. 169–322.
  7. Carl Schuchhardt: Alteuropa. Zweite Auflage, Berlin und Leipzig 1926.
  8. Adolf Ellegard Jensen: Simbabwe und die Megalithkultur. In: Paideuma. Mitteilungen zur Kulturkunde. Band 1/3 (1939), S. 101.
  9. Ernst Wahle: Deutsche Vorzeit. Leipzig 1932, S. 68 ff., 73 ff.
  10. Hermann Güntert: Der Ursprung der Germanen. Carl Winter, Heidelberg 1934, S. 97 f.
  11. Hermann Güntert: Der Ursprung der Germanen. Carl Winter, Heidelberg 1934, S. 95.
  12. Karl J. Narr: Archäologische Hinweise zur Frage des ältesten Getreideanbaus und seiner Beziehungen zur Hochkultur und Megalithik. In: Paideuma. Mitteilungen zur Kulturkunde. Band 6/4 (1956), S. 249.

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