Nachklassisches Recht

Die Erde erhält von den Kaisern Hadrian und Justinian den Codex des römischen Rechts (Charles Meynier, geschaffen 1802/03.)
Ausgelegt werden kann der Text etwa so: Hadrian repräsentiert den Prinzipat, der für die Blüte der klassischen Rechtswissenschaft steht. In dieser Phase wurden die entscheidenden Grundlagen für einen Codex zwar hervorgebracht, tatsächlich aber wurde ein solcher nicht verfasst. In einer Zeit, als das klassische Recht in der spätantiken Nachklassik deutlich abflachte, bewahrte Kaiser Justinian die klassische Pioniersleistung im Corpus iuris, die bemerkenswerteste Zusammenstellung allen römischen Rechts seit den frührepublikanischen Zwölftafeln (unabhängiges Zusammenwirken zweier kaiserlicher Kräfte).

Das nachklassische Recht, teilweise auch als epiklassisches Recht bezeichnet, steht im rechtshistorischen Zusammenhang für eine Epoche des römischen Privatrechts, die der klassischen Rechtswissenschaft der Zeit des frühen und mittleren Prinzipats folgte. Gegenüber dem klassischen Recht war es von einer Verflachung der Rechtskultur geprägt, die vornehmlich von den Wirkungen der Reichsteilung in Ost und West ausging – Westrom ging in der Zeit sogar noch unter – zudem aber im sozialen Bereich veränderten gesellschaftlichen Zielstellungen – im Lichte eines unaufhaltsam erstarkenden Christentums – unterlag.

Eine Trennlinie lässt sich im Jahr 235 ziehen, als im Römischen Reich mit dem Tod des letzten Severers Severus Alexander die sogenannten Soldatenkaiser die Macht übernahmen und mit ihnen die Reichskrise des 3. Jahrhunderts begann. Das häufig als erschöpft und unkreativ rezipierte nachklassische Recht fällt in einen allgemeinen kulturellen Abschwung, der in politisch sehr angespannte Zeiten für das Imperium eingebettet war. Häufige gewaltsame Machtwechsel erschütterten Rom im Inneren und erhebliche Gefahren, insbesondere durch das neupersische Sassanidenreich, erwuchsen von außen. Auch Diokletians Versuch, nach der erfolgreichen Stabilisierung der politischen Ordnung die klassische Tradition des Rechts zu bewahren, scheiterte. Ein Staat, der alle Rechtsschöpfung unter kaiserlichen Vorbehalt stellte und die rechtsanwendenden Organe lediglich als unselbstständige Beamte duldete, konnte kein Gewährsträger für das Wiederaufleben einer klassischen Rechtsordnung sein.

Gleichwohl gab es seit dem 5. Jahrhundert Kodifikationsbestrebungen, was verdeutlicht, dass die Kaiser vermehrt Einfluss auf das Recht nehmen wollten. Im 6. Jahrhundert entstanden dann die justinianischen Kompilationen in Gestalt des Corpus iuris, der als das bedeutendste Rechtswerk der Spätantike und wesentliches Überlieferungswerk des römischen Rechts an sich gilt. Das Werk sollte als Renaissance des klassischen Rechts verstanden werden, als klassizistische Umkehr. Gleichzeitig sollte Recht eigenständig weiterentwickelt werden. So fand nachklassisches Recht in regionalen Rechtsordnungen partikularen Anschluss.

Entgegen den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts besteht in der gegenwärtigen Forschung die Auffassung, dass das nachklassische Recht weniger Unterschiede zum klassischen Recht aufweist als in der früheren Rezeption behauptet. Bis heute als Vulgarrecht negativ konnotiert, wird den Entwicklungen des Privatrechts in der Nachklassik immerhin eine gewisse Kontinuität bescheinigt. Gleichzeitig ergeht jedoch der Hinweis, dass die Veränderungen im klassischen Recht regelmäßig bereits angelegt gewesen seien. Auffallend ist zudem, dass die nachklassische Zeit durch ein publizistisches Zurücktreten der Autoren geprägt war. Indem neue juristische Publikationen früheren Autoren als Pseudepigraphien zugeschrieben wurden, sollte suggeriert werden, dass der klassische Rechtskulturbetrieb nach wie vor intakt sei. Tatsächlich hatte das neue Wertesystem der Spätantike eine Verlagerung des Gewichts von der Rechtswissenschaft auf die absolutistisch geprägte Rechtsprechung und die Gesetzgebung der Kaiser mit sich gebracht.


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