Nordamerikanische Kulturareale

Die nordamerikanischen Kulturareale sind geographische Räume, in denen eingeborene Ethnien leben, die nach dem Konzept der Kulturareale (culture area) der US-amerikanischen Ethnologen Franz Boas, Robert Lowie und Clark Wissler aufgrund ähnlicher Lebensweisen bei übereinstimmenden Umweltbedingungen eine ähnliche Kultur und Lebensweise aufweisen.[1] Dieses Konzept der kulturvergleichenden Sozialforschung beruht allerdings auf der jüngsten historischen Verbreitung und Lebensweise vor der Kolonialisierung bzw. vor der Bildung der modernen Nationalstaaten.  

Die Einteilung Nordamerikas zeigt demnach ein Bild, das so zu keinem Zeitpunkt real existiert hat. Während der europäische Einfluss an der Atlantikküste bereits im 16. Jahrhundert zu einer erheblichen Akkulturation und später Assimilation geführt hat, führte der Einfluss im hohen Norden erst im 20. Jahrhundert zu kulturellen Anpassungen, die das Konzept einheitlicher Kulturen in Frage stellte. Die Problematik der zeitlichen Eingrenzung wird besonders deutlich beim Kulturareal „Prärie und Plains“: Die nordamerikanischen Reiterkulturen entstanden erst durch die europäische Expansion im Laufe des 18. Jahrhunderts, indem einige Stämme das Pferd übernahmen und (auch unter dem Druck nach Westen ausweichender Völker des Ostens) in die bislang fast unbesiedelten Steppen vordrangen. 

Obwohl viele Ähnlichkeiten augenfällig sind, ist die konkrete Abgrenzung (vor allem sehr großer) Areale umstritten, weil das Konzept zu viele willkürliche Festlegungen enthält: Welche Kulturgüter werden für die Definition eines Areales herangezogen? Wie wird „Ähnlichkeit“ definiert? Wo beginnt und wo endet sie? Welche Verfälschungen verursacht die europäischen Sichtweise? Wie vereinbart sich das statische Arealmodell mit dem permanenten Kulturwandel? Daher spielen die Kulturareale heute in der Wissenschaft nur noch eine untergeordnete Rolle; etwa, um sich einen Überblick über die (historische) kulturelle Vielfalt eines Kontinentes zu verschaffen.[2] 

Das populärste Modell der Kulturareale Nordamerikas stammt von Clark Wissler (1912) und wurde 1939 von Alfred Kroeber überarbeitet.

Nordamerikanische Kulturareale

Für Nordamerika hat sich die Unterteilung in zehn Kulturareale durchgesetzt:

David Graeber und David Wengrow ziehen für ihre Definition des Begriffes der Schismogenese insbesondere die Grenzen zwischen den nordamerikanischen Kulturarealen Nordwestküste und (Nord)-Kalifornien sowie (Süd)-Kalifornien und Südwesten heran: Dort finden sich – trotz jeweils ähnlicher ökologischer Lebensbedingungen – deutliche Kulturunterschiede, die durch ein Aufschaukeln bewusst gewählter gegensätzlicher Verhaltensweisen erklärt werden.[3]

  1. Michel Panoff, Michel Perrin (Hrsg.): Taschenwörterbuch der Ethnologie. Begriffe und Definitionen zur Einführung. 3., überarbeitete Auflage. Reimer, Berlin 2000, ISBN 3-496-02668-5, S. 144–145 (französisches Original: Dictionnaire de l'ethnologie).
  2. Kulturareal. In: Brockhaus – Enzyklopädie in 30 Bänden. 21. Auflage. In: Munzinger Online. 2013 (aktualisiert mit Artikeln aus der Brockhaus-Redaktion; anmeldepflichtige Ansicht, abgerufen von Stadtbibliothek Wuppertal am 17. September 2013).
  3. David Graeber, David Wengrow: Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm, Henning Dedekind und Andreas Thomsen, 4. Auflage, Klett-Cotta, Stuttgart 2022, ISBN 978-3-608-98508-5, S. 187, 280–281.

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