Stadtphysicus

Ein Stadtphysicus oder Stadtphysikus (von lateinisch physicus, gelehrter „Leib“-Arzt bzw. Akademikerarzt im Gegensatz zum praxisorientierten chirurgicus[1] bzw. Wundarzt[2]) bzw. Stadtarzt[3] (auch, etwa im 15. Jahrhundert in Augsburg, als Stadt-Leibarzt bezeichnet[4]) war seit dem Spätmittelalter ein vom Stadtrat (fest) bestallter Arzt und nahm neben seiner privaten Praxis und der Tätigkeit in städtischen Spitälern[5] in etwa die Aufgaben eines heutigen Gesundheitsamtes wahr. Die mittelalterlichen Stadtärzte, die insbesondere Funktionen des Polizei-, Gerichts- und Armenarztes innehatten, sind gemäß Heinrich Haeser den Archiatri populares der römischen Kaiserzeit[6] vergleichbar.

Die Bezeichnung Physicus war bis 1901 in Preußen der Titel für den beamteten Arzt.[7]

Der Stadtphysicus war verantwortlich für hoheitliche Maßnahmen, die die Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung und die hygienischen Bedingungen in der Stadt betrafen. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Aufsicht über die Apotheken sowie die Überwachung von Personen, die sich mit medizinischen Aufgaben befassten, etwa der Hebammen und Bader. Daneben hatte er gerichtsmedizinische Aufgaben wie die Begutachtung von Verletzungen lebender Personen, die äußere Leichenschau und die Durchführung von Leichenöffnungen bei nicht natürlicher und ungeklärter Todesart. In Seuchenzeiten veröffentlichten viele Stadtphysici kleine, gedruckte Ratgeber.

Im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert wurde auch die Erstellung von Kalendern mit astrologischen Wetterprognosen oft von Stadtärzten wahrgenommen.

Etliche Stadtphysici fungierten zugleich auch als Leibärzte adliger oder geistlicher Würdenträger.

In weniger dicht besiedelten Regionen wurde das Amt in Kombination als Stadt- und Kreisphysicus vergeben, der neben der Stadt in deren Umland einen bestimmten Medizinaldistrikt zu versorgen bzw. zu beaufsichtigen hatte.

Für den Stellvertreter des Stadtphysicus galt, z. B. in Hamburg, die Bezeichnung Subphysicus.

  1. Bernhard D. Haage, Wolfgang Wegner: Chirurg, Chirurgie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 251–254; hier: S. 251.
  2. Gundolf Keil: Ortolf von Baierland (Würzburg). In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 7: „Oberdeutscher Servatius“ – Reuchart von Salzburg. 2., völlig neu bearbeitete Auflage. De Gruyter, Berlin u. a. 1989, ISBN 3-11-011582-4, Sp. 67–82, hier: Sp. 75.
  3. Manfred Vasold: Stadtärzte. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 1352–1353.
  4. Wolfgang F. Reddig: Heilberufe: Doctores, Bader, Scharlatane. In: Medizin im Mittelalter. Zwischen Erfahrungswissen, Magie und Religion (= Spektrum der Wissenschaft. Spezial: Archäologie Geschichte Kultur. Band 2.19), 2019 (auch in Spektrum der Wissenschaft. 2, 2002), S. 62–65, hier: S. 63–64.
  5. Conrad Brunner: Über Medizin und Krankenpflege im Mittelalter in Schweizerischen Landen (= Veröffentlichungen der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Band 1). Orell Füssli, Zürich 1922, S. 70–71.
  6. Conrad Brunner: Über Medizin und Krankenpflege im Mittelalter in Schweizerischen Landen (= Veröffentlichungen der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Band 1). Orell Füssli, Zürich 1922, S. 69.
  7. August Buck: Die Medizin im Verständnis des Renaissancehumanismus. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Weinheim an der Bergstraße 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), S. 181–198, hier: S. 185.

From Wikipedia, the free encyclopedia · View on Wikipedia

Developed by razib.in