Transzendental

Das Adjektiv transzendental (von lateinisch transcendere, „überschreiten“) wird in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen mit Bezug auf die Erfahrung verwendet – es bezeichnet Strukturen, Begriffe oder Erkenntnisfunktionen, die nicht durch empirische Erfahrung erworben werden können, deren Bestehen bzw. Gültigkeit aber vorausgesetzt werden muss, damit die Erfahrung einen Wahrheitsgehalt hat und somit Erkenntnis und Wissen möglich sind. Da diese Bedingungen also einer jeden möglichen empirischen Erfahrung immer schon vorausliegen und den Bereich des empirisch Erfahrbaren insofern „überschreiten“, aber von diesem nicht losgelöst (transzendent) sind, bezeichnet Immanuel Kant diese Bedingungen als „transzendental“. Die Transzendentalphilosophie hat zur Aufgabenstellung, die subjektiven allgemein-notwendigen Bedingungen für Bewusstseinsprozesse wie die Gewinnung von Erkenntnis bzw. Wissen oder die Ausrichtung auf das moralisch Gute[1] zu untersuchen. Immanuel Kant beschreibt den erkenntnistheoretischen Gegenstandsbereich, der der Sinneserfahrung vorausliegt (und daher a priori genannt wird) in der Kritik der reinen Vernunft[2]: „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich […] mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.“ (Immanuel Kant: AA III, 43[3])

Die Eigenschaft „transzendental“ meint einen Zusammenhang mit der empirischen Erkenntnis von Gegenständen im Allgemeinen und in Absehung von den besonderen Erkenntnisvoraussetzungen eines spezifischen Gegenstands. Entlang dieser Linie bestimmt Kant die Transzendentale Ästhetik als Lehre von den Bedingungen der Wahrnehmung von etwas überhaupt, und die Transzendentale Logik als die Lehre vom gedanklichen Anteil der Gegenstandserkenntnis – im Unterschied zur allgemeinen formalen Logik, die ihm zufolge mit Urteilen und Begriffen unabhängig von jedem Gegenstandsbezug operieren, und zu den Gesetzen einer spezifischen Wissenschaft, die einzelne Gegenstände und Eigenschaften betreffen.

Kants Programm führte im deutschen Idealismus zum Anspruch, dass Transzendentales, weil a priori gültig, Erfahrung und Wissen abschließend begründen kann. Dieser Anspruch wurde in transzendentalen Konzepten – zum Beispiel in denen von Friedrich Schelling und Johann Gottlieb Fichte – zur Konstruktion idealistischer Philosophien und romantischer Kunsttheorien verwendet. Damit einher geht aber – entgegen Kants Ansicht – der Anspruch oder doch zumindest die Sehnsucht, Transzendentes zu erfassen. Auch an diese wiederhergestellte Einheit von Kosmologie und Erkenntnistheorie knüpft Ende des 19. Jahrhunderts der amerikanische Transzendentalismus an.

  1. Vgl. Otfried Höffe: Transzendentale oder vernunftkritische Ethik (Kant)? Zur Methodenkomplexität einer sachgerechten Moralphilosophie, in: Dialectica 35/1-2 (1981), 195-221.
  2. „Der Ausdruck ‚transzendental‘ bezeichnet genau genommen nicht die Methode der Kritischen Philosophie, sondern den Charakter der sie leitenden Fragestellung; in der Transzendentalphilosophie wird nach Bedingungen gefragt, unter denen sich die objektive Gültigkeit von Begriffen und Sätzen a priori als möglich begreifen lässt.“ (Wolfgang Röd: Die Philosophie der Neuzeit 3. Teil 1: Kritische Philosophie von Kant bis Schopenhauer. München 2006, S. 33)
  3. Immanuel Kant, Gesammelte Schriften. Hrsg.: Bd. 1–22 Preussische Akademie der Wissenschaften, Bd. 23 Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, ab Bd. 24 Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1900ff., AA III, 43 / KrV B 25.

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