Wilhelm IX. (Aquitanien)

der erste Trobador
„Lo Coms de Peit(i)eus“, Guillem VII, Autorenporträt[1] aus dem illumierten Chansonnier provençal „K“. Die historisierte Initiale „P“ markiert das Incipit der „canso“: « Pos de chantar m'es pres talens » (BdT 183,10). BnF ms. fr. 12473, folio 128r (13. Jh.) (Gallica).

Wilhelm IX. (* 22. Oktober 1071; † 10. Februar 1126),[2] bekannt als der erste Trobador (BdT 183)[3], war Herzog von Aquitaniens und der Gascogne, sowie Graf von Poitou.

„Lo coms de Peiteus“ ist der erste namentlich bekannte Troubadour, Gründervater der Trobadorlyrik. In der Literaturgeschichte wird er als „trovatore bifronte“, als doppelgesichtiger Trobador, bezeichnet,[4] weil er einerseits derb-vulgäre, „unhöfische“ Lieder und andererseits feinsinnige, „höfische“ Kanzonen gedichtet hat, in denen zum ersten Male das Ideal der höfischen Liebe, des „amour courtois“, die Liebesideologie der „fin’amors“[5][6][7] vorgestellt wurde.

Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien, ist der Stammvater einer bedeutenden dynastischen Linie, Großvater Eleonores von Aquitanien, der berühmten Mäzenin, „Königin der Troubadoure“,[8] Herzogin von Aquitanien, Königin von Frankreich, dann von England. „Lo coms Guilhem VII de Peitieus“ ist somit auch Urgroßvater zweier englischer Könige, des Troubadour-Königs Richard Löwenherz (BdT Nr. 420) und des Königs Johann Ohneland, beide Söhne seiner Enkelin Eleonore.[9]

Seine Urenkelin Marie de Champagne, Tochter Eleonores aus ihrer Ehe mit dem französischen König Ludwig VII., war wie ihre Mutter eine Literaturmäzenin. An ihrem Gräflichen Hofe in Troyes förderte sie den Trouvère Chrétien de Troyes, den Begründer des „Höfischen Romans“, der durch seine fünf Versromane über die „Ritter der Tafelrunde“ weltberühmt wurde und dessen Werk die gesamte abendländische Epik seit dem Hochmittelalter bis in die Neuzeit beeinflusst.

In der Okzitanistik (Provenzalistik)[10][11] gilt Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien, der VII. Graf von Poitiers, als Autor der elf Lieder eines in den „Chansonniers“, den illuminierten altprovenzalischen Liederhandschriften, nicht näher bestimmten „Coms de Peit(i)eu(s)“.[12]

  1. Ursula Peters: Das Ich im Bild: Die Figur des Autors in volkssprachigen Bilderhandschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts. Verlag Böhlau, Köln 2008, ISBN 978-3-412-18806-1 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. Robert A. Taylor: An assessment on what we know and we don’t know about the first troubadour. Google Books, S. 876.
  3. BdT dieses Kürzel verweist auf das Standardwerk: Alfred Pillet, Henry Carstens: Bibliographie der Troubadours (Kürzel: BdT), Max Niemeyer Halle 1933. Ristampa anastatica dell’edizione Halle (Saale), Max Niemeyer Verlag, 1933, a cura di Paolo Borso e Roberto Tagliani. Ledizioni Milano 2013, ISBN 978-88-95994-64-2. 460 Trobadore sind hier namentlich aufgelistet und in alphabetischer Reihenfolge durchnummeriert von 1. Ademar bis 460. Vescoms de Torena. « Lo coms de Peiteus »(sic), also Wilhelm IX., trägt die Nummer 183.
  4. Pio Rajna: Guglielmo conte di Poitiers Trovatore Bifronte. In: Mélanges de linguistique et de littérature offerts à M. Alfred Jeanroy, Éditions E. Droz Paris 1928.
  5. Man findet in der Literatur sowohl die Schreibweise «fin’amor» als auch «fin’amors». Der Nominativ des femininen Substantivs «amor» lautet im Alktokzitanischen «amors». Somit wäre «la fin’ amors» die richtige Graphie. Die altokzitanischen Mundarten besitzen ein Zweikasussystem: casus rectus und casus obliquus. Der Casus rectus, der Nominativ, «amors», endet auf s. Im Casus obliquus (Genitiv, Dativ, Akkusativ) heißt es dagegen «amor» ohne ‚s‘.
  6. Marilyn Yalom: Wie die Franzosen die Liebe erfanden. 900 Jahre Leidenschaft. Graf Verlag, 2013, ISBN 978-3-86220-038-2, S. 29–30 (Google Books).
  7. Moshé Lazar: Amour courtois et « fin’amors »: dans la littérature du XIIe siècle. Librairie C. Klincksieck, 1964.
  8. Régine Pernoud: Königin der Troubadoure. Eleonore von Aquitanien. dtv 1461, 15. Auflage. München 1979, ISBN 3-423-30042-6, S. 145–160.
  9. Henriette Walter: Aventures et mésaventures des langues de France. Honoré Champion, Paris 2012, ISBN 978-2-7453-2339-2, S. 140/141.
  10. Okzitanistik oder Provenzalistik ist das Teilgebiet der Romanistik, das die Dialekte und die Literatur der „langue d’oc“ untersucht. Mit „Provenzalisch“ wurde in der älteren Romanistik die Gesamtheit der okzitanischen Dialekte bezeichnet. Seit den 1990er Jahren haben sich allgemein die Bezeichnungen „okzitanisch“, „Okzitanistik“ und „Okzitanist“ durchgesetzt.
  11. Joseph Salvat: Provençal ou occitan? In: Annales du Midi. 1954, S. 229–241.
  12. George T. Beech: L’attribution des poèmes du comte de Poitiers à Guillaume IX d’Aquitaine. In: Cahiers de civilisation médiévale, Band 31 (1988), S. 3–16 (Volltext online).

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